Der Beginn
Anfang März 2020 hat mich eine Influenza im Streifschuss erwischt. Ich war aber nur ein bisschen schlapp und hatte Muskelschmerzen, das war alles.
Als es dann tagelang weder besser noch schlechter wurde, habe ich erst mal versucht, es zu ignorieren. Ich war einen Tag mit meinem Sohn Skifahren, so gut es eben ging, und eine Woche später habe ich den ersten Tag meines Gleitschirm-Kurses mitgemacht, auf den ich mich schon ein Jahr lang gefreut hatte. Das ständige Hochlaufen am Übungshang mit dem ganzen Geraffel war eigentlich zu anstrengend, aber wenn man mit Begeisterung bei der Sache ist, merkt man das nicht so…
Die Entscheidung, ob ich den Rest des Wochenendes sausen lassen soll, hat mir dann der Gesundheitsminister abgenommen (Skifahrer-Quarantäne wegen Corona). Dafür kann ich ihm im Rückblick dankbar sein, denn vermutlich hätte ich weitergemacht und damit meine Ausgangslage vielleicht nochmal deutlich verschlechtert.
Tja, und dabei blieb es dann erst mal über Wochen und Monate: Erschöpfung und Muskelschmerzen, als würde es morgen mit der Grippe so richtig losgehen.
Ein auf und AB
Ich arbeite in einem Jahresarbeitszeitmodell und hatte in der Zeit zwei Monate frei (für den Gleitschirm-Kurs). Der wurde dann aber wegen Corona sowieso erst mal verschoben. Insofern hatte ich viel Zeit, mich auf dem Balkon auszukurieren und spazieren zu gehen. Mehrmals hatte ich das Gefühl, jetzt wird es wieder deutlich besser. Dann habe ich meine Spaziergänge gesteigert, habe mal eine kleine Radtour unternommen und war einmal sogar Joggen. Letztlich hatte aber jedes kleine Auf wieder ein eher größeres Ab im Schlepptau.
Dann war meine freie Zeit zu Ende und ich habe nochmal zwei Monate „ganz normal“ gearbeitet. Das heißt, ich bin nicht die 8 km mit dem Rad hingefahren wie sonst, habe Aufzug statt Treppe benutzt, etc. So ging es halbwegs, aber ich habe deutlich gemerkt, dass etwas überhaupt nicht stimmt. Inzwischen wurde ich auch schon von meiner Hausärztin auf alles mögliche durchgecheckt, natürlich auch mehrmals auf Corona, aber immer negativ.
Im Sommerurlaub im Algäu habe ich noch mal kleine Wanderungen versucht, die auch für meinen Vater mit 80 Jahren geeignet gewesen wären. Danach ging dann auch das Arbeiten nicht mehr.
Diagnose-Marathon
Ich hatte einen großen Vorteil gegenüber anderen ME/CFS-Patienten: Ich kannte die Krankheit schon ziemlich gut, weil auch meine Mutter in den 90er- und Nullerjahren davon betroffen war. (Ja, „war“: Sie wurde innerhalb von 10-15 Jahren wieder gesund.) Deshalb hat es bei mir natürlich schon nach ein paar Wochen geklingelt. Einerseits hat mir die Vorstellung Angst gemacht, es könnte mir genauso gehen wie meiner Mutter, andererseits kamen mir dann die Erfahrungen meiner Mutter und mein Vorwissen über die Erkrankung sehr zugute, als es an die gezielte Diagnostik ging. Es war mir klar, dass ich die Sache weitgehend selbst in die Hand nehmen musste.
In den ersten drei, vier Monaten sagte meine Hausärztin noch, das wäre alles nach wie vor mit einem zähen Verlauf der Grippe erklärbar, aber gleichzeitig begannen wir auch, mögliche kardiologischem und onkologische Ursachen auszuschließen. In dieser Phase habe ich sie dann mit Informationen zu ME/CFS versorgt und gefragt, was sie davon hält. Und ich hatte großes Glück, denn sie hat diese Erkrankung gleich wirklich ernst genommen. Zudem hatte sie auch nie ein Problem damit, dass ich darüber besser Bescheid wusste, als sie. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir sozusagen ein Team auf Augenhöhe sind. Zunächst hatte sie zwar noch die Hoffnung, dass sie mich in irgendeine Spezialklinik zur Diagnostik schicken könnte, merkte aber auch schnell, dass es solche Einrichtungen leider immer noch nicht gibt. Schließlich sah sie dann auch ein, dass wir beide uns in Eigenregie (natürlich in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachärzten) durch das Diagnoseschema hangeln müssen.
Ungute Erfahrungen mit anderen Ärzten blieben dennoch nicht aus, aber im Wissen, dass meine Hausärztin hinter mir steht und mich unterstützt, war das bisher zu verkraften. Ein Marathon ist es trotzdem und nach 11 Monaten habe ich nach wie vor nur die Verdachtsdiagnose, weil die neurologische Seite noch fehlt.
Wie es mir geht
Ich bin nicht arbeitsfähig, kann mich aber noch selbst versorgen. Mit Haushalt, Einkaufen und Körperpflege bin ich allerdings schon weitgehend ausgelastet. Einmal die Wohnung staubsaugen und mir ein warmes Essen kochen ist schon ein Tageswerk. Neben der Physiotherapie (z.Zt. 2x/Woche) komme ich im Schnitt noch an 2-3 Tagen die Woche dazu, einen Mini-Spaziergang zu machen: 500m zu einer Bank, dort Pause, dann wieder zurück. An manchen Tagen geht auch mehr, aber meist rächt es sich dann am nächsten Tag. Diese Aktivitäten verteile ich möglichst gleichmäßig über den Tag und die Woche (Pacing). Dazwischen ruhe ich in einem Sessel mit Blick aus dem Fenster, meiner „Ladestation“ (Herzlichen Dank an Katharina Herr für diesen inspirierenden Begriff!).
Neben Belastungsintoleranz und Erschöpfung stehen bei mir Muskelschmerzen im Vordergrund. Noch geht es ohne Dauermedikation. Von den restlichen „Nebensymptomen“ bin ich nur mild oder gar nicht betroffen. Wie man hier (hoffentlich) sehen kann, habe ich meinen Kopf noch ganz gut beieinander, wenn ich mich auch ständig vertippe und mir manchmal Wörter nicht einfallen. Zu meinem großen Glück (und vielleicht auch dank guter Schlafhygiene) kann ich meistens auch immer noch einigermaßen erholsam schlafen.