Wenn es uns ME/CFS-Kranken auch an Gesundheit, Energie und sozialer Teilhabe mangeln mag, sowie häufig auch an Geld, eines haben viele von uns im Überfluss: Zeit.
Warum nicht einen Teil davon bewusst darauf verwenden, etwas mehr Freundlichkeit und Wertschätzung in die sonst so hektische Welt zu bringen? Möglichkeiten dafür gibt es ja zuhauf:
Sich bei einem Amts-Mitarbeiter ausdrücklich für eine kompetente und hilfreiche Auskunft bedanken. Einer Callcenter-Angestellten angenehme Kundenkontakte wünschen. Eine Kurznachricht statt mit einem L.G. mit einem persönlich formulierten Gruß beenden. Dem Kassierer im Supermarkt einen angenehmen Feierabend wünschen. Dem kranken Cafe-Besitzer eine Karte mit Genesungswünschen schreiben…
Sich dieser kleinen Wertschätzungen bewusst anzunehmen, die sonst so oft der Hektik des Alltags zum Opfer fallen, ist für mich mit der Zeit immer wichtiger geworden. Ich versuche damit, etwas an die Menschen zurückzugeben, die mich in unserem Sozialsystem mit durchfüttern, weil ich mir meinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst erarbeiten kann.
Auch für mich selbst kann diese Haltung sehr gesund und hilfreich sein: Neulich habe ich von meiner Direktversicherung, die nun meine Berufsunfähigkeit anerkennen soll, ein Formular zugeschickt bekommen, das komplett an der Realität meiner Situation vorbei ging. Statt mich mal wieder darüber aufzuregen, wie oft die Lage von Menschen mit ME/CFS völlig missverstanden und verkannt wird, hätte ich meine Gedanken lieber gleich darauf richten sollen, dem Mitarbeiter der Versicherung freundlich unter die Arme zu greifen. Schließlich versucht er ja gerade, meine Situation angemessen zu erfassen und kann rein gar nichts dafür, dass dieses Krankheitsbild so unbekannt und so schwer greifbar ist. Sobald mir diese Verschiebung der Sichtweise dann mit etwas Verspätung gelungen war, sobald das Formular innerlich als Routine-Vorgehen der Versicherung abgehakt war und ich mich ans Formulieren eines freundlichen und möglichst hilfreichen Antwortschreibens gemacht hatte, ging es mir deutlich besser.
Und in den meisten Situationen ist es ja viel einfacher. Oft braucht es lediglich ein wenig Aufmerksamkeit sowie ein paar Sekunden Zeit für einige zusätzliche Worte, und schon kann für einen anderen Menschen (und oft auch für sich selbst) einen kleiner Lichtblick entstehen: Als ich mich neulich um 16:45 Uhr mit einem Einzeiler bei einer Bankangestellten für ihren proaktiven Umgang mit einem kleinen Problem bedankt habe, kam postwendend zurück: „Mit Ihrer Mail haben Sie mir jetzt den Feierabend versüßt“. Und damit hatte sie dann auch mir den Rest vom Tag versüßt.
Ich mache das immer wieder gerne, freundliche Augenblicke verschenken. Das tut nicht nur den Beschenkten gut.
Hab einen schönen ersten Advent! Liebe Grüße!
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Danke, Martha! Dir auch eine schöne Adventszeit!
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Wie schön, lieber Stefan. Hab einen wunderbaren 1. Advent mit vielen glücklichen und friedvollen Momenten
Liebe Grüße
Daniela 😊🙋♀️🎄💫
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Danke, liebe Daniela,
das wünsch ich dir auch!
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Dankeschön 😊🙋♀️🎄
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Ein Lächeln und ein freundliches Wort, ob schriftlich, mündlich oder persönlich, macht den Tag heller, und das gilt eigentlich immer. Zu oft lässt man persönlichen Verdruss am namenlosen anderen aus, und dem entgegenzuwirken, ist eigentlich eine Kleinigkeit, hat aber oft eine große Wirkung.
Danke dir! 😉🧡👍
Mittagskaffeegrüße und einen entspannten Adventssonntag ⛅🕯️☕🍪👍
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Danke! Ja, heute ist entspannen dran, nachdem ich die letzten Tage ziemlich viel Papierkrieg zu erledigen hatte, der mitunter auch emotional nicht so ganz einfach war.
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Die Haltung gefällt mir gut und auch ich kenne die Erfahrung, dass Freundlichkeit das Leben auf verschiedenen Ebenen bereichert, und tatsächlich sogar oft auch vereinfacht.
Wobei für mich Freundlichkeit nicht unbedingt etwas in erster Linie mit Zeit haben zu tun hat.
Denn, was ich nicht teilen kann, leider, ist die Erfahrung, dass ich als me/cfs Betroffene ein Übermaß an Zeit habe, also Zeit, die ich für irgendetwas „Brauchbares“ verwenden könnte??
Alles ist anstrengender, alles braucht mehr Zeit und danach muss ich mich ausruhen und das heißt liegen und Ruhe geben und vielleicht, wenn überhaupt, ein mäßig anspruchsvolles Hörbuch oder Radiobeitrag hören … und in schlaflosen Nächten Sudokus lösen – geht auch im Liegen – weil alles andere irgendwie „puscht“ und mich noch schlafloser macht…
Ich schreibe dir das deswegen, weil ich erlebe, dass „Außenstehende“, genau die Meinung haben: du bist doch Rentnerin, du hast doch Zeit, sogar ich selbst falle immer wieder auf diese Vorstellung rein und bekomme dann den nächsten Crash, weil ich „Zeit haben“ mit „Energie haben“ verwechsle – ich habe gefühlt jetzt weniger „Freizeit“ als früher, als ich noch gearbeitet habe – also „Freizeit“ im Sinn von: Zeit, die ich mit „schönem Unnötigen“ füllen kann…
Eine Mitbetroffene sagte einmal: wenn ich das (also cfs) mal hinter mir habe, dann brauche ich erstmal Urlaub – das finde ich sehr treffend und das ist auch eine meiner Erwiderungen, wenn man wieder jemand mir vermittelt: Du hast doch/Sie haben doch sicher Zeit genug.
Deshalb war es mir auch wichtig, dir das zu schreiben, weil die Formulierung für Menschen, die nicht wissen, wie sich me-cfs anfühlt, völlig falsche Vorstellungen wecken kann…
Herzliche Grüße, Ursula
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Ich finde deine Gedanken sehr wichtig und auch nachvollziehbar, besonders wenn ich mir vorstelle, ich hätte vielleicht noch eine Familie zu versorgen oder ein noch niedrigeres Energie-Level. Danke, dass du diese Einwände hier teilst.
Auch bei mir ist es übrigens so, dass ich keinen Überfluss an ‚verwertbarer‘ Zeit habe. Aber die nötige Erholungszeit nutze ich oft für Meditation/Kontemplation und empfinde sie so nicht mehr als geraubte Zeit, sondern inzwischen sogar als wertvolles Zeit-Geschenk, denn zu so viel Meditation wäre ich früher nie gekommen. Und wenn ich mit einer langen To-Do-Liste unterwegs bin, wie z.B. in letzter Zeit, dann geh ich dadurch mit mehr Ruhe und offenerem Blick in diese Aufgaben rein und entdecke auf diese Weise dann Möglichkeiten zum Freundlich sein, die ich in meinem „alten Alltag“ übersehen hätte.
Insofern hat das Ganze für mich schon mit dem Zeit-Aspekt zu tun.
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Ursula hat mir nochmal per Mail geantwortet. Hier, was sie schreibt:
Das kann ich nachvollziehen, und das ist natürlich wunderbar, wenn du deine Ruhezeiten für Meditation/Kontemplation nutzen kannst, und dass du auf die Art dann eine andere Gelassenheit entwickelst – also so habe ich das verstanden.
Ich habe es mir noch mal genauer überlegt und merke, ich erlebe es so: je „bedürftiger“ ich bin, in dem Moment, oder auf ein bestimmtes Thema bezogen, desto schwerer fällt es mir, auf andere einzugehen, andere Bedürfnisse wahrzunehmen, auch dann freundlich zu sein, wenn das Gegenüber das in dem Moment vielleicht nicht ist.
Und, ich gestehe, das war, als ich gesund war vermutlich genauso …
Was mir auch noch aufgefallen ist: dadurch dass ich durch die Erkrankung viel weniger Kontakte habe, sind mir die „Alltagskontakte“, selbst am Telefon, wertvoller und ich bin oft dadurch auch offener, interessierter, freundlicher.
Und, ja, eindeutig: durch die Erkrankung und das – nicht immer ganz freiwillige – viele Beschäftigen mit mir selbst bin ich bewusster und wacher, was mich selbst betrifft und diese ganzen ja meist unterbewussten Vorgänge.
Und das führt tatsächlich auch zu einem friedlicheren Umgang mit mir selbst und anderen …
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